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Vorwort des 11. Jahrgang 1889

Joseph Kürschner
in: Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1889 /
hrsg. von Joseph Kürschner. - 11. Jg. - Berlin ; Stuttgart :
W. Spemann, 1889

Vorwort

Auch dem vorliegenden Litteratur-Kalender ist eine Verspätung im Erscheinen nicht erspart geblieben! Verschiedene Umstände tragen daran die Schuld, von denen die minder wichtigen Gründe internen Charakters sind, die wichtigeren aber auf die große Vermehrung der Adressen und auf den verspäteten Einlauf hunderter, ja tausender von Formularen zurückzuführen sind. Noch heute, wo eben der letzte Bogen in die Maschine geht, erhalte ich Zusendungen, die natürlich nun unberücksichtigt bleiben müssen.

Es ist überhaupt diesmal bei dem Litteraturkalender im Speziellen wie dem Prinzen Hamlet glorreichen Angedenkens im Allgemeinen ergangen: "ich habe all' meine Heiterkeit verloren." Selbst die musterhafte Trockenheit des vorliegenden ebenso brauchbaren wie langweiligen Buches hat kleine Seelen nicht abgehalten, seinem Verfertiger alle möglichen dunklen Rachepläne und grausigen Attentate auf litterarische Freiheit und Existenzbedingung unterzuschieben, an denen er so unschuldig ist wie ein neugeborenes Kind. Da war in der guten Absicht, die von der Post als unauffindbar bezeichneten Leutchen hübsch ordentlich zusammenzustellen, um es der Findigkeit der Kollegen zu überlassen, ihren Aufenthalt festzustellen, eine besondere Rubrik für diese "Unauffindbaren" eingeführt, flugs erhob sich ein Sturm bei verschiedenen Bewohnern dieses Hinterstübchens, von denen die einen meinten, es sei jammervolle Ranküne, daß ich ihnen den Boden ihrer Junggesellenbude ohne weiteres unter den Füßen weggezogen habe, das Formular könne nicht zurückgekommen sein u. dgl. m., während die anderen die Gekränkten spielten, daß ich ihre Adresse (die Adresse des berühmten Mannes!) nicht gewußt oder erfragt habe. Von anderer Seite wieder wurde ich öffentlich der unbefugten Kreirung von Doktortiteln angeklagt und mir als Todsünde in die Schuhe geschoben, daß zwei Schriftsteller eines Namens de facto nicht zwei, sondern eine Person seien, und für diese und ähnliche Sünden meinem Verleger für mich noch eine Privathölle in Aussicht gestellt, in der ich zum Gaudium der "verehrten Kollegenschaft" braten und schmoren sollte bis zum jüngsten Gericht. Nun bin ich kein Spaßverderber und als gewesener Redakteur der "Deutschen Schriftsteller-Zeitung" auch mit den verschiedenen Graden der litterarischen Folter vertraut, von der boshaften Notiz der Daumenschraube bis zum voluminösen Artikel der henkerlichen Streckung, aber schließlich genügt ein Tropfen, um das Faß zum Ueberlaufen zu bringen. Ich will daher für diese und ähnliche Ankläger doch hersetzen "wie's gemacht wird", nämlich der Litteraturkalender. Da kommen zunächst die bekannten Formulare in drei Abstufungen: für neu angegebene Adressen, für alte, deren Inhaber löblicher Weise antworteten, und für alte, deren Inhaber unlöblicher Weise nicht antworteten, zur Versendung. Couvert und Formular sieht man bei den meisten niemals wieder! Das ist die erste schmerzliche Erfahrung. Dann kommen die ausgefüllten Formulare heim. Seid gegrüßt - ach, leider nicht "Millionen". Davon ist der kleinere Teil korrekt ausgefüllt: das Schicksal lohne es ihren Verfassern! Bei vielen aber ist mit Sicherheit darauf zu rechnen, daß statt dem Geburtsjahre die Hausnummern und statt dem Vornamen der Wohnort angegeben ist. Ueber die bibliographischen Angaben dieses Teils wollen wir einen Schleier decken. Wer atmet in rosigem Licht, begehre das nimmer zu schauen! Zwischen durch sorgen vor gänzlichem Marasmus des Unglücklichen, dem die Durchsicht der Formulare zufällt, die Humoristischen: voran diejenigen, die klipp und klar ein Honorar für ihre Angaben wünschen, und dann in entsprechender Abstufung diejenigen, welche das Elend des modernen Schriftstellers durch die Abwesenheit von Freimarken drastisch zum Ausdruck zu bringen glauben; weiter diejenigen, welche nach dem berühmten litterarischen Grundsatz vom gegenseitigen Händewaschen für die Gefälligkeit der Bereicherung meines Werkes durch ihre unschätzbaren Angaben, Skizzen von 1 Seite bis Romane zu vier Bänden in einer von mir redigierten oder mir bekannten Zeitung aufgenommen haben wollen; ferner die Liebenswürdigen, die schmeicheln, von Verehrung triefen und schließlich um Autographen und Aehnliches bitten, endlich diejenigen, die gemäß der Forderungen der Individualisirung keiner bestimmten Klasse mehr angehören und bald Verbesserungsvorschläge für die Abkürzungen machen, bald sich in kleinen Abhandlungen über den Wert der Interpunktion oder den Druck mit grüner Farbe ergehen, oder den Kalender der alleinseligmachenden Antiqua in die Arme führen möchten, oder durch die Anwendung von Volapük auch den schwarzen Brüdern in Klein-Popo einen Begriff von der deutschen Reichs-Litteratur-Republik beibringen möchten, kurz ein Anliegen oder wenn es sein kann, auch hundert und eines haben etc. etc.

Die neuen Adressen werden von Freunden des Buches angegeben, selbst aufgestöbert oder von befreundeten Redaktionen mitgeteilt - an alle diese Adressen gehen Formulare. Gesetzt nun, A. gibt mir einen gewissen Herrn K. L. Meyer in Posemukel, Pappelallee 27 an, B. einige Wochen später einen gewissen C. Meyer in Posemukel, Krautfelder Vorstadt 22 1/2 , so erhalten diese sehr ehrenwerten Herren Meyer je ein Formular. Diese wie gesagt sehr ehrenwerten Herren Meyer hat aber nun die Vorsehung nicht als Zwillinge, sondern als ganz gewöhnlichen Illing auf die Welt gesetzt und diesem nun nur noch halb so ehrenwerten Herren Meyer wiederum hat es gefallen, seine Wohnung Pappelallee 27 in die Krautfelder Vorstadt 22 1/2 zu verlegen, ohne alle Freunde und Bekannte davon zu benachrichtigen, auch ohne ihnen zu sagen, daß er verschiedene oder verschieden geschriebene Vornamen von seinen unvorsichtigen, den Litteratur-Kalender nicht berücksichtigenden Paten mit auf den Lebensweg und auf den Umzug von der Pappelallee 27 in die Krautfelder Vorstadt 22 1/2 erhalten hat. Da bringt nun der Stephansbote das Formular erst in die Pappelallee 27 und hier berichtet von da in die Krautfelder Vorstadt 22 1/2. Herr Meyer ist aber schlechter Laune, zerreißt das Formular und führt es jener profanen Verwendung zu, die eingehend zu schildern unser prüdes Zeitalter nur den fortgeschritteneren Realisten als Verdienst anrechnet. Vier Wochen darauf erhält er das zweite Formular und denkt: den Kürschner soll mitsamt seinen Zusendungen der Teufel holen, und antwortet erst recht nicht. Da kommt nun groß und breit Herr Meyer, etwa mit der Auszeichnung der Leyer, als siamesischer Zwilling in den Litteraturkalender, die eine Hälfte wohnhaft Pappelallee 27, die andere Krautfelder Vorstadt 22 1/2 und Kürschner hat von neuem bewiesen, daß er absolut nicht der Mann ist, Litteraturkalender zu machen. Der geehrte Kritiker ist natürlich rasch bei der Hand zu sagen, oder zu schreiben, oder wenigstens in seinem hohen Kritikerverstand zu denken: Kerl, 6 Mark für diesen Jammerkalender und nicht einmal direkt anfragen? Na, warte mein Söhnchen, Dir werde ich Mores lehren! Bruder Kritikus vergißt aber, daß Briefe 1) Geld, 2) Zeit und 3) bereitwilligen Beantworter voraussetzen. Wenn nun von 20000 Leuten etwa 14000 oder mehr nicht antworten, so wäre das eine Korrespondenz, für die ich mich und noch mehr die unter 3) genannten Schlacht- oder richtiger Briefopfer sich bedanken würden. Und dann möchte ich analog dem Bahninspektor, der dem Passagiere, als dieser seinen Vorhalt, den Bahndamm nicht zu überschreiten, weil er überfahren werden könne, dahin beantwortet, daß ihn dies gar nichts anginge, erwiderte: "Ganz recht, aber wer soll die Schweinerei wegmachen", fragen "wer soll das Porto und die Zeit bezahlen?" Und namentlich dann, wenn die geehrten Herren verlangen, daß man wegen jedem Doktortitel sich zur Sicherheit an den Rector magnificus der Universität wenden soll, an welcher der Betreffende, der sich Doktor nennt, promoviert hat (14000 Briefe mit anstandshalber beigelegtem Rückporto kosten allein an Porto 2800 Mark)! Ich wiederhole es heute, was ich das letzte Mal an dieser Stelle, aber offenbar nicht eindringlich genug sagte: der Litteraturkalender ist als geschäftliches Unternehmen nichts weniger als verlockend und nur durch das Entgegenkommen des Verlegers und die Neigung des Herausgebers möglich, das sollten sich doch endlich alle Neidhämmel hinter die mehr oder weniger langen Ohren schreiben.
[...]
Wann wir uns wiedersehen? Das wissen nächst den Göttern nur die Einsender der Formulare. Ich denke - "doch ich will nicht vorgreifen", wie Kollegin Paula Erbswurst sagt, und harre der da kommenden Dinge mit jener Geduld, die stets war, auch heute noch ist und in absehbarer Zeit immer sein wird das Hauptrequisit eines deutschen Schriftstellers.

Stuttgart, 1889

Kürschner


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